Francisco Goya | Genese der modernen Kunst um 1800

Die radikal neue Wirklichkeitserfahrung, bedingt durch

  • Bürgerkrieg,
  • Ablösung des Absolutistischen Staates und
  • Aufklärung

führt zur Erschütterung traditioneller Weltbilder und Erklärungsmodelle.

Elemente der neuen künstlerischen Sprache in Form und Inhalt:

  1. Die Kunst steht nicht mehr überzeugend im Dienst von Staat und Kirche.
  2. Sie verkündet keine absoluten Wahrheiten und auch keine verbindlichen Moralvorstellungen mehr.
  3. Sie macht die widersprüchlichen Wirklichkeitserfahrungen selbst zum Thema.
  4. Anschaulich wird diese widersprüchliche Realität durch die Infragestellung tradierter Würdeformeln und ikonographischer Zeichen.
  5. Die Kunst kann nicht mehr bloß schön sein, dem bloßen ästhetischen Genuß dienen.
  6. Sie kann daher nicht mehr idealisiertes Abbild der Welt sein, sondern sie muß in bildnerischer Form und Inhalt die erfahrenen Brüche und Widersprüche offen legen.
  7. Klassische Anatomie-, Perspektiv- und Malauffassungen können daher ihrem Ausdrucksverlangen nicht mehr genügen.
  8. Goya entwickelt Form- und Wirkungsstrategien von großer Eindringlichkeit. Er konzentriert sich auf die Erprobung und Auslotung der originär bildnerischen Möglichkeiten und eröffnet sich neue Ausdrucksbereiche.
  9. Andererseits steht er von nun an in einem ihm schmerzlich bewußten gebrochenen Verhältnis zur Welt.

Formale, inhaltliche und wirkungsbezogene Neuerungen der Malerei Goyas nach seinem Bruch mit der Tradition des Rokoko:

  1. Die Bilder sind nicht in eine vollendet schöne Form gebracht, sie dienen nicht dem ästhetischen Genuß.
  2. Die rohe Malweise paßt sich den brutalen Inhalten der neuen Themen an. Er malt ganze Bildpartien skizzenhaft und andeutungshaft.
  3. Die Farbigkeit wird monochrom, d.h. er reduziert die Palette auf den Erdfarbenbereich mit wenigen zusätzlichen Farbakzenten.
  4. Er verzichtet auf anatomische- und perspektivische Richtigkeit zugunsten der Eindringlichkeit. Er deformiert die Anatomie der Figuren und verzichtet auf die Tiefenwirkung bzw. örtliche Identifizierbarkeit des Bildraumes.
  5. Durch Malweise, Farbigkeit und Raumbehandlung wirken seine Bilder düster, bedrohlich und rätselhaft.
  6. Der Betrachter wird durch die offene, skizzenhafte Malweise als aktiv Wahrnehmender in das Bildgeschehen miteinbezogen (auch durch die Komposition).
  7. Der düstere, nicht dokumentarisch faßbare Raum wird zur Metapher der erlebten unsicheren Zeit des Malers.
  8. Er spricht im Betrachter primär die subjektive Seite, das Gefühl, an.
  9. Seine zentralen Figuren sind nicht mehr Herrscher oder Helden, sondern die Opfer, das einfache Volk.
  10. Er interpretiert tradierte christliche ikonographische Zeichen auch in Bezug auf den neuen Rezipientenkreis (das Volk) um und stellt diese dadurch in Frage.
  11. Seine Malerei läßt sich daher als subjektiver Realismus charakterisieren. Er nimmt aber auch Züge der romantischen Malerei vorweg, indem er die emotionale Seite des Betrachters anspricht. Die ikonographischen Experimente (z.B. DER KOLOß) führen bereits zu surrealen Bilderfindungen des Traumhaften, Unterbewußten und Irrationalen.