Hannah Höch und Dada (1889-1978)

Der erste Weltkrieg: Fast zehn Millionen Tote, zwei Millionen davon in Deutschland, ungezählte Witwen, Weisen, Invaliden- die Bilanz. Das Deutsche Kaiserreich und mit ihm das Ideal vom Bildungsbürgertum des Volkes der Dichter und Denker hatte sich ad absurdum geführt.

Der unbändige Ekel der Dadaisten galt dem pervertierten Wertekanon einer Gesellschaft, der zum Massentod auf den Schlachtfeldern geführt hatte und der sich auch nach 1918 in der Weimarischen Lebensauffassung behaupten konnte. Nationalideologie und Militarismus schrieben sich auch nach dem Krieg fort, sodass die junge Weimarer Republik für die Dadaisten nichts anderes war "als Lüge, die Verkleidung der teutonischen Barbarei." Diese Lüge zu entlarven und den "Weltenunsinn" in seinen grotesken Widersprüchen als solchen aufzuzeigen, dafür stand DADA – "die lachende Verzweiflung"-, eine Bewegung, die mentale wie gesellschaftliche Verkrustungen schöpferisch aufzubrechen suchte.

Dada zeigt, […] anlässlich der "Ersten Internationalen Dada-Messe", die Welt 1920. Viele werden sagen: so scheußlich sei selbst 1920 nicht. Es ist so: Der Mensch ist eine Maschine, die Kultur sind Fetzen, die Bildung ist Dünkel, der Geist ist Brutalität, der Durchschnitt ist Dummheit und Herr das Militär".

Eine künstlerische Audrucksform, die Dada Berlininaugurierte und die auch im 21. Jahrhundert (nun allerdings in digitaler Form) ihre ästhetische wie kulturelle Potenz bewahrt hat, ist die Fotomontagerespektive Collage. Glaubt man der Überlieferung Hannah Höchs, so haben Raoul Hausmann und sie im Sommer 1918 bei einem Aufenthalt auf der Ostseeinsel Wollin angesichts eines Militärgedenkblattes ihr bildnerischen "Heureka!" gehabt. Das Blatt zeigt Uniformierte, denen jeweils ein und derselbe Kopf eines jungen Mannes aufgepflanzt worden war. Die Fotomontage war geboren.

Dada-Mentalität in Berlin:

      • Überlebensstrategisches, kultur- und gesellschaftskritisches Instrument
      • der Dadaist hatte existenzielle Angst aber keine Furcht sich zu wehren - die Energie seiner "Lach-Arbeit" wird von den Verhältnissen geradezu herausgefordert
      • doppelbödig dadaistisches Spiel antwortet auf genauso doppelbödige Wirklichkeit
      • bloßlegen und antwort auf das "wahnwitzige Simultankonzert von Morden, Kulturschwindel, Erotik und Kalbsbraten"
      • abzielen auf Regeneration durch Erkenntnis

          Die Montagen Hannah Höchs

            • disparate Teile in homogenisierende Bildkontexte bringen
            • grotesk-zerstückelte Bildwelten mit dem Ziel des Aufrüttelns, des Anmahnens der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse
            • radikale Infragestellung aller überlieferten Werte und der verhassten bürgerlichen Normen und Wertevorstellungen
            • individualanarchitstische Freiheitspose mit dem Ziel der Formierung einer neuen Zukunft
            • negieren alles Ästhetischen und Pathetischen
            • Darstellen alles Irrationalen in Collagen und Assemblagen
            • sinvoller Unsinn
            • Zertrümmern der Metrik in sinnbefreiten Lautgedichen (Hugo Ball)
            • Zufall als Kompositionsprinzip (z. B. Hans Arp, Fallbild)
            • kreative Aggression, Verspieltheit, Kindlichkeit, Ironie,

              Hannah Höch

                • einzige Frau im Berliner Dadazirkel
                • Höch fordert schrankenlose Freiheit für sich- im Leben wie in der Kunst
                • Fotomontage: künstlerisches Ausdrucksmedium zur Kritik an Alltagswirklichkeit und zur Darstellung ihrer inneren Welt/Bilder ("Emotionale Hemmungen sind mit der Fotomontage leichter zu überwinden als mit der Zeichnung oder irgendeinem anderen Medium" Hannah Höch)
                • kulturkritisch
                • Infragestellung aller überlieferten Werte
                • Stilpluralismus ihres Schaffens: Freiheit der formalen Mittel
                • "Waffen" dieser Freiheit: Schere und Klebstoff

                  Ästhetisches Verfahren:

                    • disparate Teile in homogenisierende Bildkontexte fügen
                    • Zerstückelung reproduzierter Gesichter und Körper
                    • "bildnerisches Transplantationsverfahren", Deplatzierungen
                    • Abbild der Realität
                    • Gegensätze auf die Spitze treiben
                    • figürliche Collagen: enthemmter bildlicher Verstümmelungsakt,
                    • Leitmotiv: das AUGE- immer wieder als Verfremdungs- und Irritationsmoment eingesetzt
                    • großes Repertoire an Körperteilen, Münder, Kinnpartien, Frauenbeine, Nasen….
                    • suchendes Arbeiten, häufig auch durch Zufall gefundenes -Befreiung von Verdrängtem: Höch: "…hinter der Komposition steht ein Mensch, dessen innere Struktur ihn zwingt, auf diese Weise etwas auszusagen."
                    • Gestaltverzerrungen, Mischformen
                    • Balance zwischen Realität und Virtualität, Bewusstem und Unbewusstem, Humor und Abgrund
                    • Fotomontagen Höchs: "…auch für diese Form, sich künstlerisch zu bekennen, gelten formale und farbliche Kompositionsgesetzt."

                      Lit. Burmeister, Ralf (Hrsg.): Hannah Höch. Aller Anfang ist Dada!, Berlin, o.J.